Predigt am Sonntag in der Oktav von Weihnachten, dem 31. Dezember 2023, von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Signum contradictionis, ein Zeichen, dem widersprochen werden wird: Das sind die Worte des Propheten Simeon über unseren Herrn Jesus Christus (Lk 2, 33- 30). Und tatsächlich ist Christus von Anfang an und in all Seiner Mission während Seiner Lebenszeit und der ganzen Kirchengeschichte immer ein Zeichen des Widerspruches geblieben. Schon damals hat das Volk Israel in den meisten Seiner Vertreter Ihn nicht anerkennen wollen, und noch heute leugnen viele Seiner Volksangehörigen, dass unser Herr der Messias ist, der gekommen ist, um uns zu retten. Die Heiden Seiner Zeit und unserer Zeit nehmen am Herrn Anstoß, weil sie nicht wahrhaben wollen, dass Er der Erlösergott ist, der über alles herrscht und der alles zum Vater zurückbringen soll.
In der ganzen Kirchengeschichte aber hat es auch im Inneren der Kirche solche gegeben, die an Jesus Christus als Herrn und Erlöser, als Gott und Mensch Anstoß genommen haben; für die er, obwohl sie sich Christen nannten und nennen lassen, ein Zeichen des Widerspruchs war und ist. In den ersten sechs Jahrhunderten haben viele Häresien die Wahrheit der Gottmenschheit Jesu Christi geleugnet. Der Adoptianismus, der Arianismus, der Nestorianismus haben Ihn als bloßen Menschen gesehen und den Glanz und die Herrlichkeit der Gottheit, die in Ihm war, nicht erkennen wollen. Der Monarchismus und der Monophysitismus dagegen haben seine wahre Menschheit verkannt und behauptet, nur die Gottheit lebe in ihm wirklich, und die Menschheit sei nur wie eine äußere Hülle, eine für uns angenommene Verkleidung.
In der Kirchengeschichte haben die Häresien nie aufgehört, Unruhe zu stiften. Die Irrlehrer, die an Jesus Christus und Seiner ganzen Wahrheit Anstoß genommen haben, haben sich sozusagen von Jahrhundert zu Jahrhundert die Hand gereicht: Jene, die Christus Selbst als Gottmensch geleugnet haben, jene aber auch, die Sein Gnadenwerk, die Kirche und die Sakramente abgelehnt haben: etwa die Pelagianer, die die Erbsünde und die Notwendigkeit der Gnade leugneten, die Katharer und die Hussiten, die das Wirken des Heiligen Geistes in der Institution der Kirche verkleinerten, so wie schließlich diejenigen, die sich als protestierende Reformer verstanden haben, und die mit der Kirche, dem Priestertum und sogar der substantiellen Gegenwart des Herrn in der heiligen Eucharistie nichts mehr anfangen konnten. Diese Reihe dieser Irrlehrer könnte noch beliebig verlängert werden!
Auch in unserer Zeit haben Rationalismus, Modernismus und Progressismus an Christus Anstoß genommen. Sie wollen die Wahrheit der Offenbarung, die Jesus Christus in der Schrift und in der Tradition Seiner Kirche hinterlassen hat, nicht wahrhaben oder verändern, sie stehen der von Christus eingesetzten kirchlichen Ordnung und dem Priestertum kritisch gegenüber; viele ihrer Vertreter lehnen rundweg die Moral der Kirche ab oder wollen sie der Zeit anpassen, entgegen der klaren und eindeutigen Botschaft Christi und Seiner Apostel.
Immer also hat es Menschen gegeben, auch in der Kirche, die an Christus Anstoß genommen haben, die Irrlehren vertreten haben, die wir in der Kirchengeschichte und auch heute als Häretiker bezeichnen können. Was aber haben alle diese Irrlehren gemeinsam? Woran kann man auch heute noch eine Häresie klar erkennen?
Zunächst genau daran, dass Christus und Sein Werk nicht angenommen werden, dass die Gottheit Jesu Christi oder Seine Menschheit nicht anerkannt wird und das Erlösungswerk Christi in der Kirche, in den Sakramenten und in der Moral, die Er uns gegeben hat, damit wir das Heil erlangen, verkleinert oder verändert werden soll. Der Gottmensch Christus und seine Kirche sind für alle Häretiker aller Zeiten ein Zeichen des Anstoßes.
Jede Irrlehre will daher auch immer das Neue, das Originelle, angeblich noch nicht Dagewesene fördern, das nicht aus der apostolischen Tradition und der kirchlichen Überlieferung erklärt werden kann, das also im Widerspruch zu dem steht, was in der Kirche „ubique, semper et ab omnibus; überall, zu allen Zeiten und von allen“ (Vinzenz von Lerin, Commonitorium) geglaubt worden ist. Wenn eine solche von Menschen erfundene und der bisherigen Lehre der Kirche widersprechende Neuheit behauptet und verkündet wird, dann wissen wir, dass wieder eine Irrlehre ihr hässliches Haupt erhoben hat, um sich in der Kirche zum Verderben der Seelen breitzumachen.
Schließlich haben alle Irrlehrer aller Zeiten sich immer dem Zeitgeist und dem herrschenden Ton der Gesellschaft angepasst. Schon die Namen der jüngsten sehr komplexen und verzweigten Irrlehren des Modernismus und Progressismus bringen das passend zum Ausdruck. Das, was vorgeblich modern und progressiv ist, fördern sie, „was den Ohren schmeichelt“ (2 Tim 4, 3), wie der heilige Paulus sagt, wollen sie verkünden, weil man „die gesunde Lehre nicht erträgt“, damit das Christusgeheimnis keinen Anstoß gibt; damit das Zeichen des Kreuzes niemanden aus seinem Todesschlaf erwecken kann; damit das, was uns das Heil bringt, nicht mehr verkündet wird, sondern was gefällt und Ohrenkitzel bringt. Wer auch immer solche Häresien verkündet, gleich wer er ist, gleich wo er steht, der verkleinert Christus, der wird die ganze Heilsbotschaft nicht mehr unversehrt verkünden und die apostolische Überlieferung nicht weitergeben, und er wird deswegen auch der Welt und nicht Gott dienen wollen.
Trotzdem, so sagt der heilige Paulus, opportet et haereses esse, ist es notwendig, dass Irrlehren auftreten (1 Kor, 11, 19)! Durch die ganze Kirchengeschichte hindurch hat Gott solche Irrlehren zugelassen, und zwar zur Klärung und zur Erleuchtung der Glaubensgeheimnisse selbst. So hat die Kirche das Auftreten von Irrlehren immer zum Anlass genommen, den Glauben nochmals zu vertiefen und ihn noch deutlicher zu erklären. Unter dem Einfluss des Heiligen Geistes, der Kirche als Ganze vor Irrtum schützt und unfehlbar macht, hat sie dadurch ihre immerwährende und unveränderliche Lehre noch genauer formuliert und die Dogmen in ihrem Zusammenhang besser verstanden. So kann sie durch die Zurückweisung der Irrlehren den Menschen immer besser die Heilswahrheit verkünden, die Christus der Kirche im ihr anvertrauten Schatz des wahren Glaubens, dem depositum fidei, für immer hinterlassen hat und der als einziger zum Heile führt.
Durch die Kraft des Heiligen Geistes wird es wieder zu einer solchen Klärung kommen. Werden wir also nicht verwirrt, wenn wir auch heute, wie zu allen Zeiten, Menschen sehen, gleich welchen Standes, die an Christus, der Kirche und ihrer Lehre Anstoß nehmen! Der Prophet Simeon hat das richtig vorhergesagt! Aber dieser Widerspruch wird Gott dienen, Größeres zu schaffen, eine tiefere Klarheit, eine strahlendere Heiligkeit und einen stärkeren Glauben. Keine Häresie ist so stark, dass sie Christus und Seine Kirche auf Dauer besiegen kann. Die Wahrheit Christi ist immer siegreich! Die Häretiker aller Zeiten mögen Anstoß an ihr nehmen, aber die Gläubigen aller Zeiten bleiben ihr treu; sie folgen der Lehre Christi und der Kirche; sie bekennen den Erlöser, und sie werden trotz aller Stürme der Zeit durch die wahre Lehre, die durch die Kirche von Christus kommt, immer und zu jeder Zeit das Heil erlangen. Amen.