Predigt zum Sonntag nach Christi Himmelfahrt

/ Mai 23, 2020/ Predigten

Keiner mag Feiglinge. Feiglinge, die zwar den Mund vollnehmen, sich aber im entscheidenden Moment zu drücken wissen. Feiglinge, denen ihr eigener Vorteil wichtiger ist als Treue und Festigkeit. Feiglinge, die einfach ihre Ruhe haben wollen. Nur keine Stellung nehmen müssen. Nur keine Position beziehen. Nur nicht für die Wahrheit Opfer bringen. Wer so handelt, ist ein Feigling. Keiner mag ihn, weil er im entscheidenden Moment nur an sich selbst denkt.

Dass ist nicht der Weg, den der Herr seinen Jüngern weist. „Auch ihr werden Zeugnis von mir ablegen, weil ihr von Anfang an bei mir ward“, heißt es im heutigen Evangelium. Wer ein Jünger des Herrn sein will, der muss bereit sein, Zeugnis für Ihn abzulegen. Christus weist sofort auf die Konsequenzen hin, die ein solches Zeugnis haben kann: „Sie werden euch aus den Synagogen stoßen; ja, es kommt die Stunde, da jeder, der Euch tötet, Gott einen Dienst zu tun glaubt.“ Der Grund für diese letzte Konsequenz des Zeugnisses für Jesus, das die Verfolger der Jünger nicht dulden, wird ebenso angegeben: „Das werden sie euch antun, weil sie weder den Vater noch mich kennen.“ (Johannes 15, 26-27; 16, 1-4)

Der Herr beschönigt nichts. Er verheimlicht nicht, was es bedeuten kann, Sein Jünger zu sein. Er konfrontiert die Jünger mit den Tatsachen: So wie Er für uns zu sterben bereit war, so sollen auch seine Jünger bereit sein zu sterben, wenn es das Zeugnis erfordert. Wenn es soweit ist, sollen sie nicht erstaunt sein. Sie sollen sich nichts vormachen hinsichtlich der Folgen des Zeugnisses für Ihn. Er warnt sie vor: „Ich sage euch das, damit, wenn jene Stunde kommt, ihr euch daran erinnert, dass ich es euch gesagt habe.“ (Johannes 16, 4)

Die Stunde aber ist gekommen. Die Vorhersage des Herrn ist eingetroffen. Nicht nur einmal, sondern viele Male in der langen Geschichte der Kirche. Zuerst sind die Apostel alle aus den Synagogen gestoßen worden und schließlich alle, bis auf Johannes, den Märtyrertod gestorben. Dann hat sich ihr Schicksal unzählige Male wiederholt. Christen, die Zeugnis für den Herrn gaben, sind zu abertausenden unter den römischen Kaisern gemartert worden. Katholiken, die den wahren Glauben gegen Arianer, die Monophysiten, die Bilderstürmer, den Islam und andere Häretiker und Heiden bezeugt haben, wurden nicht nur oft aus den kirchlichen Versammlungen der Schismatiker ausgestoßen, sondern erlitten vielfach Verfolgung und Martyrium. Tausende von katholischen Missionaren sind für das Zeugnis Jesu blutig gestorben. Die Gewaltherrscher der modernen totalitären Staaten und ihre Sbirren haben den Opfertod unzähliger Priester, Ordensschwestern und Laien verschuldet.

Die Stunde, die Jesus ankündigt, ist nicht vorüber. Man hat mit Recht das zwanzigste und einundzwanzigste Jahrhundert als die Jahrhunderte mit der systematischsten Christenverfolgung bezeichnet. Nicht nur in der Vergangenheit, sondern zu dieser Stunde werden Menschen für ihr Christuszeugnis im Sudan, in Syrien, in Pakistan, in China, in Nord-Korea, in Nigeria, in Indien und in vielen anderen Ländern verfolgt und sterben. Das wird oft verschwiegen, ist aber die harte Wirklichkeit. Menschen, die an Christus glauben und Ihn bezeugen, werden noch heute von denen gehasst und getötet, „die weder den Vater noch den Sohn kennen“, aber in ihrer Verblendung glauben, „Gott einen Dienst zu tun“, wenn sie die Christen und vor allem die Katholiken verfolgen.

Bereiten wir uns also vor, damit wir nicht zu den Verrätern und Feiglingen gehören, wenn die Stunde kommt. Wir sind vielleicht nicht unmittelbar gerufen, unser Leben blutig zu opfern, obwohl auch das schnell kommen kann, wie die Geschichte Deutschlands zeigt. Aber wir sind gerufen, Zeugnis zu geben. Zeugnis für unseren katholischen Glauben. Zeugnis für die eine, heilige, apostolische und katholische Kirche. Zeugnis für den Herrn, der den Glauben verkündet und die Kirche gestiftet hat. Dieses Zeugnis ist nicht in unser Belieben gestellt. Wir können uns nicht drücken. Wer nicht klar sagt und verteidigt, was er glaubt, wird leicht zu einem Verräter an der Wahrheit, die Mensch geworden ist.

Hören wir daher auf die Stimme des Herrn, der uns eindringlich mahnt: „Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater“ (Matthäus 10, 32-33). Heute beginnt das Zeugnis nicht erst vor den Gerichtshöfen der Heiden, sondern in der Familie, unter Freunden, am Arbeitsplatz, in allen unseren Verantwortlichkeiten.

Dieses Zeugnis erfordert Mut. Es ist nicht immer einfach. Oft genug kostet es Überwindung. Als Katholiken können wir uns nicht anpassen. Wir können nicht einfach „tun, was alle tun“. Wir können uns angesichts der Glaubenslosigkeit und der Unmoral in unserem engsten Umkreis nicht mit dem billigen Spruch abseilen: „Die Zeiten haben sich geändert.“ Doch wir sind auch nicht allein. Der Herr ruft uns nicht zum Zeugnis für Ihn, ohne uns gleichzeitig beizustehen, damit wir dieses Zeugnis trotz unserer Schwäche und Menschenfurcht geben können.  Wenn er uns zu seinen Jüngern macht, dann gibt er uns auch alles, was es dazu bedarf.

Wir sind nicht allein. Durch die Gemeinschaft der Kirche erhalten wir die Kraft der ständigen Gegenwart des Herrn. Er verlässt uns nicht, sondern bleibt in Seiner Kirche bei uns „alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Matthäus 28, 20). Im Allerheiligsten Altarsakrament gibt er uns die Zuversicht, nicht allein zu sein, wenn die Stunde des Zeugnisses kommt. Vor den Tabernakeln unserer Kirchen betend können wir die Glaubensstärke finden, im Kleinen und im Großen Zeugnis zu geben. Dort wird er uns die Gnade der Festigkeit schenken, so wie er sie den Aposteln geschenkt hat, die erst furchtsam und zweifelnd waren, dann aber zu Helden des Glaubens geworden sind. Der würdige Empfang der heiligen Eucharistie ist für uns Quelle mutigen Zeugnisses, denn mit Jesus im Herzen wissen wir, dass „unser Glaube der Sieg ist, der die Welt überwunden hat“ (1 Johannes 5, 4).

Wir sind nicht allein. Mit uns gibt die Kirche Zeugnis für Christus. Die Kirche aller Zeiten steht uns vor Augen: Die Kirche der großen Päpste und Bischöfe, die Kirche der frommen und glaubenstreuen Priester, die Kirche der unzähligen Märtyrer, Bekenner, der heiligen Männer und Frauen. Die streitende Kirche hier auf Erden ist in allen Jahrhunderten von der triumphierenden Kirche des Himmels und der leidenden Kirche des Fegfeuers in ihrem großen Zeugnis für Christus unterstützt worden. Mag auch der Einzelne, sei er Papst, Bischof, Priester oder Laie, der Höhe dieses Zeugnisanspruches nicht immer gerecht werden, so stützt uns doch das Zeugnis der katholischen Kirche als Ganze. Ihre Lehre macht unser Zeugnis zu einem Zeugnis der Wahrheit, gestern, heute und bis zum Ende der Zeit.

Wir sind nicht allein. Der gute Umgang mit anderen gläubigen Katholiken stärkt und befähigt uns zum Zeugnis Christi gegenüber der Welt. Darum sollen wir uns gegenseitig stärken: „Vor allem liebet einander allezeit, denn die Liebe deckt viele Sünden zu“, sagt uns der Apostelfürst in der heutigen Epistel (1 Petrus 4, 2). Er ermahnt uns zur Gastfreundlichkeit und zu gegenseitigem Dienst. Wenn wir Katholiken uns untereinander stützen, wenn wir mit unseren jeweiligen Gnadengaben den anderen helfen, wenn zwischen uns ein gutes Einvernehmen herrscht, wenn wir einander verzeihen, einander ermutigen und uns gegenseitig in diesen schweren Zeiten trösten, dann gibt uns solche Gemeinschaft Kraft zum Zeugnis für den Herrn. Geben wir gemeinsam unser Zeugnis für Christus! Je mehr wir im wahren Glauben und in der Nächstenliebe einig untereinander sind, desto mehr bleiben wir für uns und andere „gute Verwalter der mannigfachen Gnade Gottes“.

Wir sind nicht allein. Der Herr bleibt bei uns, aber er schenkt uns auch Seinen Geist, der uns zum Zeugnis befähigt. Wir hören im Evangelium: „Wenn der Tröster kommt, den ich Euch vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, so wird Er Zeugnis von mir ablegen!“ (Johannes 15, 26). Diesen Tröster hat der Herr schon gesandt. Der Heilige Geist ist die unsichtbare Seele der Kirche. Er trägt ihr unfehlbares Lehramt und wirkt mit seiner Kraft in den Sakramenten. Er ist in ihr als Geist der Wahrheit, der Nächstenliebe und der Einheit. Wir alle sind in Taufe und Firmung Tempel des Heiligen Geistes geworden. Deswegen sind wir niemals allein mit unserem Zeugnis.  In jedem Moment mutigen Zeugnisses geht seine Kraft uns voraus, begleitet unser Bekenntnis und schenkt uns die Frucht des Glaubens. Deswegen kann Petrus uns und den Amtsträgern in der Kirche zurufen: „Wer redet, rede Gottes Wort. Wer ein Amt hat, verwalte es mit der Kraft, die Gott gibt, damit in allen Dingen Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus unsern Herrn“ (1 Petrus 4, 11).

Wir sind in der Tat nicht allein. Wir finden den Mut zum Zeugnis, zu dem Jesus uns ruft, in der Gemeinschaft der Kirche. Der Herr selbst bleibt mitten in seiner Kirche im Sakrament des Altares und hilft uns, Ihm treu zu bleiben. Die unveränderte Lehre Seiner Kirche und ihre großen Bekenner geben mit uns Zeugnis. Der Herr ist es auch, der unter uns die Einheit der gelebten Nächstenliebe schafft, mit der wir uns gegenseitig zum Zeugnis stärken und ermutigen. In der Gemeinschaft der Kirche weht der Geist Gottes, der uns tröstet, wenn wir furchtsam sind, und uns Seine Kraft schenkt, wenn wir zum Bekenntnis gerufen werden.

Dieses bekennende Zeugnis ist jeden Tag aktuell. Unser Leben als Katholiken, unser Festhalten am Glauben unserer Väter, unser Bekenntnis für Christus und Seine Kirche wird niemals unmodern. Die Zeiten mögen sich geändert haben, aber das Gebot des Herrn, Zeugnis für Ihn zu geben, ändert sich nicht. Mit Milde und Güte, mit Geduld und Liebe, aber auch mit Kraft und Stärke, Wahrheit und Festigkeit bekennen wir den Herrn, wenn und wo immer unser Glaube gefragt ist. Wir sind keine Feiglinge, wir sind Katholiken. Jeder Katholik aber ist Jünger und Apostel! Amen.                                                             

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz