Predigt Msgr. Prof.DDr. Rudolf Michael Schmitz am 1. Mai 2022, Fest des hl. Joseph des Arbeiters und Weihe des Trierer Doms

/ Januar 4, 2023/ Predigten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Was ist die Kirche? Das ist eine Frage, die in den letzten 50 Jahren die Menschen immer wieder bewegt hat. Neue Fragen sind  dabei gestellt worden, oft falsche Antworten wurden darauf gefunden und am Ende ist das Ergebnis eine große Verwirrung.

Was ist die Kirche? Manche meinen, die Kirche sei eine Art geistlicher Staat, etwa eine Demokratie oder eine Monarchie. Es ist wahr, dass die Kirche kollegiale Elemente der Entscheidungsfindung kennt. Ebenso ist wahr, dass sie von einem sichtbaren Haupt, dem Stellvertreter Christi auf Erden, regiert wird. Dadurch wird sie aber noch kein staatsähnliches Gebilde. Die hierarchische Struktur in der Kirche, die einer Pyramide ähnelt, meint ebenso wenig, dass nur die Führung, nicht aber die Gläubigen Bedeutung haben, da alle in der Kirche, trotz wesentlich verschiedener Aufgaben, „lebendige Steine“ (1 Petr 2,5) zum Aufbau des Hauses Gottes sind, das mehr Gemeinschaft als bloße Struktur ist. Deswegen ist die Kirche auch keine bloß soziale Organisation, die Gutes tut und ansonsten keine weitere Bedeutung hat. Wer die Kirche mit weltlichen Sozial- oder Machtstrukturen vergleicht, kann sie nicht verstehen!

Wenn wir wissen wollen, was die Kirche ist, dann müssen wir vielmehr in die Lehre der Kirche und auf die Überlieferung der Hl. Schrift blicken. Und hier ist die Antwort ebenso zeitlos wie einfach, sie liegt in den Titeln, die ihr das Glaubensbekenntnis seit jeher gibt: Sie ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche!

Sie ist eine, weil sie von dem einen wahren Gott gegründet worden ist als das Heilsinstrument für uns alle. Es kann nur eine wahre Kirche geben, wie es nur einen wahren Gott gibt. Er hat den Menschen nicht verschiedene Lehren gegeben zu ihrer Verwirrung, sondern die eine Wahrheit, die zum Heil führt. Das ist der erste, wichtigste Ausgangspunkt, dass die Einheit der Kirche die Einheit Gottes voraussetzt, dass wir also nicht nach neuen, menschlichen Formen zu suchen brauchen, sondern dass wir uns auf die Stimme des einen, wahren Gottes berufen und verlassen können, wenn wir die Form und das Wesen der einen wahren Kirche erkennen und begreifen wollen.

Dass er uns in die Kirche berufen hat, ist eine reine Gnade, die wir nicht haben verdienen können, was sich daran zeigt, dass wir zumeist schon als Kleinkinder durch die Taufe in die Kirche aufgenommen wurden, und dass die Firmung und alle anderen Gnadengaben, die der Herr uns in der Kirche schenkt, ein Volk nicht aus Perfekten, sondern aus Sündern voraussetzt. Die Sakramente der Kirche dienen dazu, die Sünder anfänglich und dann immer wieder zu heiligen und zu stärken, damit sie die Kirche bilden können. Christus hat uns wie den Zachäus erwählt, vom Baum des Heidentums heruntersteigen lassen, uns mit Namen gerufen und unser Haus und unser Herz mit Seiner Gegenwart beglückt, um uns zu dem einen, heiligen Volk, dem universalen Kirchenvolk zu machen, das Er sich aus allen Völkern aus der ganzen Erde erwählt hat, zur katholischen, allumfassenden Kirche.

Das zeigt uns, dass die Kirche nicht aus menschlichem Tun entsteht, sondern dass an ihrem Urgrund die Berufung Gottes zu finden ist. Nur der, der von Gott die Gnade erhält, ein lebendiger Stein zu werden, nur der, der getauft ist, ist Teil des einen, heiligen Volkes Gottes, der Kirche, die sich über die ganze Erde erstreckt und deswegen mit Recht katholisch genannt wird.

Dieses katholische Gottesvolk, das Er sich erwählt hat, das Er sich geschaffen hat, das nicht aus menschlichem Willen entstanden ist, ist ein strukturiertes Volk, aber seine Struktur kommt von Gott. Es ist nicht nur irgendein Volk, das sich ungeordnet auf die ganze Erde erstreckt, sondern es ist, wie der Hl. Paulus nicht müde wird zu betonen, der Leib Christi auf Erden. Wie jeder Leib, hat auch dieses Volk ein Haupt, und das Haupt, das alles in diesem Leib bestimmt, ist Christus selbst. Er ist das Haupt, das alle Glieder belebt. Er ist das Haupt, das uns auch die Sprache der Wahrheit verleiht, mit der wir andere zur Teilhabe am Leib Christi rufen können. Er ist derjenige, der uns den ganzen Blutkreislauf der Kirche in den Sakramenten schenkt und uns dadurch heiligt und zu seinen Gliedern macht. Daher ist jeder wichtig in der Kirche, solange er der Botschaft Christi treu folgt und aus ihren Sakramenten lebt.

Natürlich gibt es durch den Auftrag Jesu Christi auch ein sichtbares Haupt, den Papst, seinen Stellevertreter auf Erden. Und es gibt durch den Willen und die Weihe Jesu Christi die Bischöfe, die uns regieren und leiten, wenn sie im Namen Christi handeln. Sie haben den besonderen apostolischen Auftrag, der Botschaft Christi zu folgen, sie uns verkünden, sie zu verteidigen und uns durch die Sakramente zu heiligen. Das ist ihr besonderes Amtscharisma, die Gnade der Leitung, Heiligung und Verkündigung, die sie zu unseren Hirten macht, den Nachfolgern der Apostel. Dafür müssen sie ihr Leben geben!  Darin müssen sie sich ganz an den Auftrag Christi halten, um nicht in die Irre zu gehen und niemanden in die Irre zu leiten.

Aber auch jeder von uns hat ein Charisma, eine Aufgabe erhalten. Vor allem jedoch die Aufgabe, heilig zu werden und heilig zu leben, damit die Kirche als Ganzes ein lebendiger Leib ist. Damit in ihr alles, was Christus uns geschenkt hat, am Leben erhalten wird. Damit wir andere durch unser Beispiel zum Leibe Christi gestalten können und damit Christus das Haupt aller in allem werden kann. Jeder hat am lebendigen Leib der Kirche Anteil, formt ihn und kann ihn beleben durch seine persönliche Heiligkeit und durch seine persönliche Verantwortung.

Schließlich aber, und das wird oft vergessen, ist die Kirche tatsächlich ganz von Gott belebt. Sie ist das, was Johannes in der großartigen Vision auf Pathmos gesehen hat: Sie ist das himmlische Jerusalem, das schon anfanghaft sichtbar ist mitten unter uns. Sie ist geschmückt wie eine Braut mit der Wahrheit und mit der Kraft der Gnade. Sie ist im Innersten heilig und kann durch die Sünden ihrer Glieder nicht unheilig gemacht werden. Sie ist stärker als Tod und Teufel, sie ist stärker als die Schwäche aller ihrer Glieder, selbst als die Schwäche der Priester und der Bischöfe. Sie ist schon hier das himmlische Jerusalem, das unzerstörbare Mauern hat. Sie ist umgeben von Engeln, die gegenwärtig sind, weil die Kirche zeitlich und örtlich nicht begrenzt ist. Sie reicht bis in den Himmel hinein. Sie bringt den Himmel auf unsere Erde und in unsere Wirklichkeit. Sie wird uns, wenn wir sie richtig betrachten, nämlich mit den Augen des Glaubens, porta caeli et domus Dei: Sie wird Tor des Himmels und Haus Gottes. Wiederum sehen wir, dass die Kirche nichts menschlich Gemachtes ist, sondern wirklich durch den Willen Jesu Christi, ihres Hauptes, vom Himmel herabgestiegen ist.

In den Jahrtausenden ihrer Existenz hat der Teufel immer wieder versucht, die Kirche zu schwächen und sie zu zerstören. Er hat all unsere Sünden und Schwächen benutzt, um die Kirche auch in den Augen der Welt verächtlich zu machen. Immer wieder aber ist sie neu geboren worden, wie der Vogel Phönix aus der Asche. Und immer wieder hat sie bewiesen, dass in ihr bis zum Ende der Zeiten, ja bis in alle Ewigkeit, das himmlische Jerusalem gegenwärtig ist: Locus iste terribilis, dieser Ort ist schauererregend (Gen 28,17), so singt die Kirche beim Kirchweihfest in ihrer Liturgie. Das Zelt Gottes, das Gott aufgeschlagen hat mitten unter den Menschen und in dem Er für immer anwesend ist, ist die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche!

Daher ist der hl. Joseph zu Recht der Patron der Kirche, denn an ihm können wir das Wirken der Kirche sehen. Wir können sehen, dass die Gnade, das, was auf Erden ist, reinigt und mitzieht. Der hl. Joseph hat, obwohl er ein einfacher Zimmermann war, eine außergewöhnliche Berufung bekommen. Er ist gleichsam einer der ersten lebendigen Steine gewesen. Er ist auf besondere Weise berufen worden, die Kirche aufzubauen, zu beschützen und begleiten, weil gerade am Anfang der hl. Joseph für das Entstehen der Kirche durch sein Tun in der hl. Familie entscheidend war.

Der hl. Joseph ist ebenso ein Zeichen dafür, dass in der Kirche alles von Gott kommt, denn er hat ein außergewöhnliches Charisma erhalten; er ist dadurch, dass er der größte aller Patriarchen war, ein Zeichen dafür, wie Gott alles umgestalten kann. Joseph zeigt uns, wie Gott einem einfachen Arbeiter eine Aufgabe und ein Charisma geben kann, das alles verändert, und wie jeder in der Kirche wichtig ist, wenn er seine eigene Heiligkeit mit Entschiedenheit und Mitarbeit mit der Gnade verwirklicht.

Schließlich zeigt der hl. Joseph, der große Patron der Kirche, dass die Kirche ein ewiges Ziel hat. Der hl. Joseph ist der Pflegevater des Jesuskindes geworden, nicht weil er in irgendeiner Weise und auf irgendeine Art in der Welt wichtig und bedeutend werden wollte. Er war der Pflegevater des Herrn, weil er durch den Engel verstanden hat: Die Ewigkeit ist unser Ziel. Er hat gewusst: ‚Alles, was ich tue, ist für die Ewigkeit und wenn ich meine Aufgabe erfülle, dann tue ich das, weil ich einst teilhaben will am himmlischen Jerusalem‘. So sehen wir in ihm das Wirken der Kirche vorgezeichnet. Dass in der Kirche alles durch Berufung Gottes entsteht, dass alle Aufgaben, die in der Kirche wesentlich sind, Charismen und Gnaden Gottes sind und dass die Kirche nur ein Ziel hat: Uns dadurch, dass wir am ewigen Jerusalem hier schon teilnehmen, in das himmlische Jerusalem zu führen.

Verzweifeln wir also nie, wenn die Menschen in der Kirche Zeichen der Sünde und der Schwäche zeigen. Gott ist stärker. Er schlägt das Zelt, das er mitten unter uns aufgebaut hat, niemals mehr ab. Die Kirche ist das große Tor zum Himmel. Der hl. Joseph weist uns auf dieses Tor hin und so beten wir mit der ganzen Kirche vertrauensvoll zu ihm, dem Patron der Kirche und dem Schrecken der Dämonen, dass diese eine, heilige, katholische und apostolische Kirche wieder sichtbar das wird als was sie ist: Das Zelt Gottes unter den Menschen!

Amen.