Predigt Msgr.Prof.Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am vierten Sonntag nach Ostern , dem 15.Mai 2022

/ Januar 4, 2023/ Predigten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Alles Gute kommt von oben (vgl. Jak 1, 17). Das haben wir gerade in der Epistel gehört und es ist auch die 2000jährige Erfahrung der Kirche. Das Gute schickt uns Gott vom Himmel her, damit wir es bewahren, damit wir es weitergeben, damit es uns zur ewigen Rettung führt. Das Beste aber, was wir bekommen haben, ist Jesus Christus selbst, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ (Jo 14, 6). Als Er zum Vater gegangen ist, hat Er uns diese Wahrheit hinterlassen, eine Wahrheit, die von oben kommt, eine Wahrheit, die uns retten kann, eine Wahrheit, die uns in Ihm und durch Ihn Gott gesagt hat. Das heutige Evangelium lehrt uns genau, was es mit dieser Wahrheit auf sich hat und wie sie durch die Geschichte hindurch bewahrt worden ist.

Zunächst kommt diese Wahrheit von Christus. Er ist der endgültige Offenbarer, in Ihm ist alle Wahrheit beschlossen. Er hat sie in menschlich verständlicher Sprache den Aposteln und Seiner Kirche weitergegeben. Diese Wahrheit aber, so sagt Er uns heute im Evangelium, bleibt nicht einfach ungeschützt, so wie menschliche Wahrheit, die dem Irrtum unterworfen ist. Die Wahrheit Jesu Christi kennt einen ganz besonderen Schutz, sie kennt einen, den der Herr selber den Paraclet nennt, den Tröster, den Anwalt: Derjenige, der die Wahrheit schützt, der uns in die ganze Wahrheit einführt und der im Laufe der Geschichte der Kirche uns diese Wahrheit erschließt, damit wir sie immer besser kennen. Ohne das Wehen des Heiligen Geistes in der kirchlichen Verkündigung wäre die Wahrheit, die der Herr uns geschenkt hat, schon längst verbogen worden und wäre nicht unverfälscht zu uns gelangt.

Wie aber geschieht das? Es geschieht auf zweierlei Weise.

Zunächst einmal dadurch, dass die Wahrheit, die Christus selbst verkündet hat, von den Aposteln irrtumslos aufgenommen, unverfälscht weitergegeben und von ihnen und den Evangelisten genau aufgeschrieben wurde, zu unserem Heil. Es gibt eine schriftliche Offenbarung, die wir in den Büchern der Heiligen Schrift lesen. Diese schriftliche Offenbarung, das Aufschreiben der Wahrheit Jesu Christi, hängt jedoch zunächst ab vom Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche. Nicht nur entstammt die Schrift des Neuen Testaments dem Schoss der frühen Kirche und wurde meistenteils erst nach der mündlichen Überlieferung von den Evangelisten und Aposteln aufgeschrieben. Darüber hinaus ist auch der Kanon der Heiligen Schriften, also die Zahl der authentischen Schriften, die die Offenbarung erhalten, von der Kirche selbst festgelegt worden. Es gab im zweiten, dritten und vierten Jahrhundert viele sogenannte Apokryphe, das heißt Evangelien und Briefe ungeklärten Ursprungs. Papst Damasus I hat am Ausgang des vierten Jahrhunderts, im Jahr 382, in einem römischen Konzil genau festgelegt, welche Schriften unter dem Einfluss des Heiligen Geistes die Wahrheit Jesu Christi unverfälscht enthalten.

Also hier bereits hat der Heilige Geist eingewirkt, wenn das Falsche vom Wahren geschieden wird. Damit sind auch die Briefe, die wir die apostolischen nennen, und die Briefe des heiligen Paulus endgültig in die Schrift hineingekommen und haben das Siegel der durch den heiligen Geist bestätigten Wahrheit erhalten, damit wir wissen, dass auch die Schriften, deren Inhalt nicht unmittelbar auf Jesus Christus zurückgeht, aber die von den Aposteln unter dem Einfluss des Heiligen Geistes aufgeschrieben worden sind, zum Schatz der kirchlichen Wahrheit gehören. Aber, so heißt es in diesen Schriften immer wieder, nicht alles ist in diesen Büchern aufgeschrieben, nicht alles, was der Herr getan und gelehrt hat, enthält die Heilige Schrift. Es gibt nicht, wie die Protestanten lange behauptet haben, eine Genügsamkeit der Schrift, so als wenn der, der die Schrift liest und interpretiert, schon daraus die ganze Wahrheit Jesu Christi erkennen könnte.

Der Geist Gottes weht weiter in der Kirche. Der Herr sagt uns eindeutig, Er wird uns in die ganze Wahrheit einführen. Und Er wird uns Wahrheiten aufschließen, wie Er den Aposteln erklärt, „die ihr heute noch nicht tragen könnt“ (Jo 16, 12). So ist durch die ganze Kirchengeschichte hindurch im Wirken des Lehramtes unter dem Einfluss des Heiligen Geistes die Überlieferung der Wahrheit Jesu Christi nicht nur bewahrt, sondern auch tiefer erklärt und erschlossen worden. Viele große Heilswahrheiten haben wir durch den Einfluss des Heiligen Geistes im Wirken des Lehramtes erst im Laufe der Jahrhunderte erkannt. Dazu gehören unter anderem auch große Wahrheiten über die Kirche, wie der der päpstlichen Unfehlbarkeit, und besondere Wahrheiten über die Gottesmutter, wie die Unbefleckte Empfängnis und die leibliche Aufnahme in den Himmel.

Viele andere Dinge, die nur dunkel und verschlossen in den Heiligen Schriften waren, hat uns der Heilige Geist erklärt, hat im Lehramt die richtige Formulierung den Päpsten und jenen Bischöfen, die mit dem Papst in Einheit sind, eingegeben und damit die katholischen Dogmen und das ganze Lehrgebäude der Kirche, das die Offenbarung Jesu Christi erklärt, sorgsam errichtet und bis heute bewahrt. Deswegen ist der erste und wichtigste Maßstab, den die Kirche von Jesus Christus selbst erhalten hat und dem sie folgen muss, wenn sie die Wahrheit der Heiligen Schrift und die Wahrheit der Offenbarung Jesu Christi richtig verstehen, interpretieren und weitergeben will, der Maßstab der göttlichen Überlieferung, den wir auch die Tradition nennen. Die Theologie nennt daher die kirchliche Tradition des Lehramtes die norma normans und die hl. Schrift die norma normata des katholischen Glaubens, also seine normierende und normierte Regel.  Der wirkliche und endgültige Maßstab dessen, was die Wahrheit in der Kirche ist, ist daher die auf Jesus Christus und die Apostel zurückgehende Überlieferung.

Alles, was dieser Überlieferung, die vom Heiligen Geist geleitet und gelenkt wird, widerspricht, und wenn es sich auch in große Worte hüllt und gar auf scheinbar synodalem Wege zu uns kommt, ist nicht mit der Wahrheit Jesu Christi konform. Wir müssen immer darauf achten: Ist das, was man uns lehrt, immer gelehrt worden? Ist es in der Einheit des Lehramtes, die auf Petrus und die Apostel zurückgeht, immer vorhanden gewesen? Ist es, wenn wir es besser verstanden haben, nur ein Aufschluss der bereits offenbarten Wahrheit oder ist es eine neue, menschliche Erfindung? Widerspricht es gar ausdrücklich den Worten der Heiligen Schrift und der immer aufrecht erhaltenen Überlieferung? Wenn es das tut, dann ist es einfach falsch, dann ist es nicht katholisch, es kommt nicht vom Heiligen Geist und geht nicht auf unseren Herrn Jesus Christus zurück.

Wenn wir also katholisch bleiben wollen in Zeiten der Verwirrung, dann blicken wir auf die Überlieferung der Kirche. Dann sehen wir, wie in den Glaubensbekenntnissen und Katechismen aller Zeiten der Herr uns durch das Lehramt klar und eindeutig unterrichtet hat, dann sehen wir und halten wir fest, was die Kirche immer und überall gelehrt hat und noch lehrt.  So bleiben wir in der lebendigen Überlieferung der Kirche, die vom Heiligen Geist bis heute getragen und bewahrt wird.

Es hat immer Stürme gegeben in der Kirche, es hat immer Häresien gegeben, es hat immer Schwierigkeiten und Glaubenskämpfe gegeben, von den ersten Anfängen der Kirche bis zum heutigen Tag, aber immer hat der Heilige Geist die Kirche getröstet. Er ist wirklich der Paraclet, der die trostreiche göttliche Wahrheit überliefert, der Anwalt, der die überlieferte Wahrheit für uns verteidigt, erklärt und bewahrt. Bleiben wir dieser apostolischen, kirchlichen Überlieferung treu und halten wir uns an das Wort des hl. Paulus im ersten Korintherbrief (11,23), wo er sagt: „Ich habe euch nur überliefert, was auch ich empfangen habe.“ Wir haben in der Kirche die ganze Wahrheit von Christus empfangen. Sie ist durch alle Wirren der Zeit bis jetzt unversehrt im Lehramt überliefert worden. Halten wir uns an diese Wahrheit und wir werden gerettet werden! Amen.