Predigt von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz am 15. Sonntag nach Pfingsten, dem 18. September 2022

/ Januar 19, 2023/ Predigten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wozu dient eine starke Medizin, etwa eine Chemotherapie? Dazu, dass sich der Kranke unmittelbar besser fühlt? Wohl kaum. Denn wir wissen aus vielen Erzählungen, dass es solchen Kranken oft danach für eine Zeitlang eher schlechter geht. Dient eine solche starke Medizin dazu, dass man allen Leiden aus dem Weg geht? Im Gegenteil. Eben gerade die Nebenwirkungen der Medizin können Leiden schaffen und können den Kranken noch lange begleiten. Dient eine solche Medizin der allgemeinen Beruhigung? Auch das kann man wohl nicht behaupten, denn manche Kranke werden erst dadurch, dass man ihnen eine solche Medizin verschreibt, so richtig darüber aufgeklärt, wie krank sie sind. Sie werden nicht beruhigt, sondern beunruhigt und versuchen deswegen die Medizin so zu nehmen, wie sie vorgeschrieben ist.

Das gleiche könnte man vom Geschenk des Glaubens sagen. Der Glaube ist wie eine starke Medizin. Eine Medizin, die uns das Leben rettet und ohne die keiner gerettet werden kann. Aber eine Medizin, von der man nicht behaupten kann, dass sie unser Leben unmittelbar einfacher macht, denn sie stellt uns vor neue Herausforderungen, denen wir ein ganzes Leben lang gerecht werden müssen. Sie macht unser Leben auch nicht ruhiger, denn wir wissen plötzlich aus dem Glauben heraus, dass nicht ein ruhiges Hier und Jetzt unser Ziel ist, sondern dass wir uns anstrengen müssen, um das wirkliche Ziel unseres Lebens zu erlangen, nämlich die glückselige Ewigkeit. Schließlich kann man ebenso nicht sagen, dass der Glaube alle Leiden wegnimmt. Er schafft in der Familie oder in der Gesellschaft uns oft Kreuze und Leiden; aber er hilft uns, ohne diese Kreuze immer verschwinden zu lassen, diese zu umfassen und um Jesu willen zu tragen.

Der Glaube jedoch ist, anders als eine gewöhnliche Medizin, ein unmittelbares Geschenk Gottes. Er wird uns gegeben, ohne dass wir etwas dazu getan hätten. Er ist sogar ein doppeltes Geschenk!

Zunächst schenkt uns Gott den Glaubensakt, jenen Akt des Vertrauens, den die Gnade in uns erweckt, mit dem wir an Jesus Christus glauben und Sein Wort sowie die gesamte Offenbarung Gottes umfassen. Niemand kann sich diesen Glauben selbst geben. Und selbst der geschickteste Apologet, der klügste Priester kann ganz vergeblich auf einen Menschen einreden und mit ihm argumentieren, wenn Gott nicht die Glaubensgnade gibt, denn dann werden auch die besten Argumente keine Früchte tragen. Der Glaube als Glaubensakt, das Vertrauen in den sich offenbarenden Gott, den Erlöser, ist ein Geschenk Seiner freien Gnade, um das wir für uns und andere nur bitten können.

Was wir jedoch glauben, der Glaubensinhalt also, ist ebenso ein Geschenk der freien Gnade Gottes. Gott hat in seiner Offenbarung, ohne dass wir etwas dazu tun können, uns alles gegeben, was wir brauchen: Göttliche Wahrheit, die von oben kommt, geheimnisvolle Wahrheit, die der Mensch nicht erfinden kann, rettende Wahrheit, die uns als einzige wirklich zum Heile führt. Wenn uns Gott die Gnade gibt zu glauben, dann beschenkt er uns zweimal, mit dem Geschenk des Vertrauens und mit dem Geschenk der geoffenbarten Wahrheit, die das Glaubensvertrauen umfasst.

Wenn wir aber den geoffenbarten Glauben vertrauensvoll umfassen, wenn wir die starke Medizin annehmen, die Gott uns anbietet, um gerettet zu werden, dann wird unser Glaube mit der Zeit das, was die Theologie die fides formata nennt, jener Glaube, der sich mit der Liebe vereint. Dort, wo der Glaube steril bleibt, wo er nur im Kopf residiert und das Herz und den Willen nicht umfasst, da wird er nicht zur fides formata, da kann er nicht die Kraft der wirklich göttlichen Medizin entfalten. Wir müssen den Glauben gewiß immer mehr hinsichtlich des Wissens vertiefen, wir müssen ihn aber auch immer besser leben und mithilfe der hl. Sakramenten der Kirche alle Hindernisse dieses christlichen Glaubenslebens ausräumen.

Wenn unser Glaube – mit Gott und Seiner Gnade mitarbeitend – ein ganzes Leben lang immer mehr durch die Liebe geformt wird, dann wirkt er umgestaltend: Er wird nämlich ein Herzensglaube, der unser Leben bestimmt. Erst dann wird er eine wirksame Medizin zur Gesundheit der Seele und des Leibes!  Dadurch wird er uns nicht alle Beunruhigung nehmen, er wird unser Leben nicht immer einfacher machen, er wird die Kreuze daraus nicht verschwinden lassen, aber er wird alles ändern. Unser Leben wird nicht mehr oberflächlich im Hier und Jetzt „verplempert“, sondern hat plötzlich einen Sinn, ein Ziel, eine Kraft, die eben nur der Glaube, dieses ganz freie Geschenk Gottes, uns geben kann.

So wird dem Glaubenden jenes Geschenk zuteil, das dem Sohn der Witwe von Naim gegeben worden ist, wie wir gehört haben (vgl. Luk 7, 11-16). Er erhält ein neues Leben! Ohne den Glauben ist unsere Seele tot, ohne den Glauben kann sie sich nicht retten, ohne den Glauben wird sie verloren gehen. Wenn wir das Geschenk des Glaubens erhalten, dann berührt uns der Herr und sagt zu uns: „Surge! Steh‘ auf!“ Dann stehen wir auf, nicht zu einem bequemen Leben, sondern zu einem christlichen Kampf!  Die Medizin wird uns nie wieder weggenommen, sondern Christus bleibt mit Seiner Glaubensverkündigung in der Kirche an unserer Seite und hilft uns, nicht nur den eigenen Glauben zu bewahren, zu stärken und zu einem Herzensglauben formieren zu lassen, sondern ihn durch das Zeugnis unseres Aufstehens im Glauben auch weiterzugeben an die Menge, die sonst bloß um unsere Bahre hilflos herumgestanden wäre und nichts hätte tun können. Wenn wir aber Glaubenszeugnis geben, dann werden auch die anderen sehen, dann Berührt der Herr auch sie, dann sagt Er auch zu ihnen: „Steh‘ auf!“. Durch das Zeugnis des Glaubens schenkt Er auch ihnen den Glauben der Bekehrung, wie in der Geschichte der Kirche an den großen Konvertiten tausendmal kraftvoll gezeigt.

Wir haben den Glauben erhalten, er ist eine starke Medizin, aber wie alles, was zum Leben führt, dürfen wir ihn nicht für uns behalten, sondern wir dürfen ihn weitergeben, damit aus der großen Masse derjenigen, die der Beerdigung unserer ehemals christlichen Gesellschaft folgt, doch  wieder eine Masse von Gläubigen wird, die das wahre Leben feiert, das Derjenige, der den Glauben schenkt, den Gläubigen nicht nehmen wird. Amen.