Predigt von Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz, am Fest Mariae Himmelfahrt, dem 15. August 2022

/ Januar 19, 2023/ Predigten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Vollendung! Das meint: Etwas ganz abschließen. Etwas vollkommen machen. Etwas perfekt zu Ende bringen. Jeder Mensch wünscht sich das von seinem Leben; es ist der Grund vieler unserer Arbeiten und Mühen; wir sehen es manchmal in den großen Kunstwerken der Welt. Der Mensch strebt nach endgültiger Vollendung!  Wir machen aber täglich in unserem eigenen Leben die Erfahrung und merken an dem, was andere geschaffen haben, dass Vollendung menschenunmöglich ist. Wir können nichts wirklich vollenden!

Selbst die größten Künstler, und gerade sie, sind nie ganz zufrieden, wenn sie ein Werk geschaffen haben, weil sie wissen, es zeigt nicht jene letzte Vollendung, die sie erstrebt haben. Es gibt sogar drei große Symphonien, eine von Schubert, eine von Mahler und, ganz letztlich von anderen zusammengestellt, eine von Beethoven, die alle drei heißen „die Unvollendete“. Der hl. Thomas von Aquin hat sein großes Jahrtausendwerk, die Summa Theologiae, nicht vollenden können. Auch ein Michelangelo Buonarotti ist an der Vollendung des berühmten Grabmals für Papst Julius II. gescheitert. Wir merken auch in unserem Leben, dass nichts vollkommen, nichts vollendet ist; selbst wenn wir uns viel Mühe geben, sehen wir nachher: Irgendetwas fehlt immer!

Deswegen stellt uns heute die Kirche vor, was Gott vollendet. Denn alle wirkliche Vollendung kommt einzig von Ihm. Er hat alles am Anfang vollendet geschaffen. Wir Menschen haben dann durch unsere Sünde dieses vollendete Werk in Unordnung gebracht. Damit wir aber nicht in dieser Unordnung des Unvollendeten bleiben, Stellt Er uns heute mit der Kirche jenes große, vollendete Werk vor Augen, das Er selbst geschaffen hat, um die Welt wieder zu vollenden: Die Unbefleckt Empfangene Jungfrau und Gottesmutter Maria!

Sie ist die ganz Vollendete. Schon im Mutterschoß ohne Sünde empfangen, von Anfang an als eine neue Schöpfung gebildet, an der kein Makel ist, hat sie für uns die Hoffnung auf die Vollendung Gottes neu erschlossen. Sie hat in ihrem ganzen Leben an der Vollendung der Schöpfung, an der Neuschöpfung in Christus mitarbeiten können, weil sie schon im Mutterschoß ganz vollendet war. Nicht durch eigene Kraft, sondern durch die Gnade Gottes, ist sie, die schon Vollkommene, dann Muttergottes geworden, hat den für immer und ewig vollendeten, einzigen Sohn des Allmächtigen Vaters empfangen und hat Sein Erlösungswerk, das die gefallene Menschheit wieder auf die Vollendung zuführt, treu mitgetragen. So ist sie nicht nur jungfräuliche Mutter des Gottmenschen, sondern auch Miterlöserin unter dem Kreuz und Spenderin aller Gnaden, die Ihr Sohn uns um unserer Vollendung willen verdient hat.

Schließlich aber, und das feiern wir heute, wird die Konsequenz dieser doppelten Vollendung der Gottesmutter sichtbar: Weil sie ohne Sünde empfangen war, hat sie auch die Folgen der Sünde, den leiblichen Tod und die Verwesung, nicht wie wir erfahren. Sie hat, von der Gnade Gottes bewegt, sich in den Himmel erheben können mit Leib und Seele. Ohne Schmerzen, ohne Leiden, ohne all die Konsequenzen der Sünde, die wir erleben. Sie ist aufgenommen worden in die Herrlichkeit des Himmels und thront nun als die apokalyptische Frau, als ein Zeichen der endgültigen Vollendung, in der Herrlichkeit Gottes, als bleibendes Zeichen der Hoffnung für uns.

Wir könnten nun sagen: Das alles ist so vollendet, das ist so göttlich, das ist so weit entfernt und herrlich, das hat mit uns nichts zu tun. Doch alle Zeichen der Vollendung, die Gott uns gibt, haben mit uns zu tun. Denn Er will, dass wir Hoffnung haben auf Vollendung, Er will, dass wir selbst uns wünschen, vollendet zu werden. Er will uns hineinziehen in Seine Vollendung und beschenkt uns daher mit seiner Hilfe. Denn auch wir sind zur Vollendung bestimmt, obwohl wir Sünder sind.

Das erste wirkmächtige Zeichen der Gnade der Vollendung, das wir bekommen, ist für uns die Taufe. Wir bringen die Sünde mit in die Welt, aber das Erlösungswerk Jesu Christi geht weiter und weil Gott will, dass wir vollendet werden, wird die Sünde uns in der Taufe weggenommen und die Vollendung der Taufgnade in der Bezeichnung im Hl. Geist in der Firmung bestärkt und erneuert. Auch wir sind wie die Gottesmutter erwählt, auch wir dürfen durch Gnade auf Vollendung hoffen!

Deswegen sind wir in unserem ganzen Leben wie die Gottesmutter berufen, mit dem Erlösungswerk Jesu Christi mitzuarbeiten. Das ist ein wichtiger Grund unseres sonntäglichen Messbesuches. Sicher schulden wir diese Verehrung dem vollendenden Gott, aber wir brauchen den sonntäglichen Kirchgang auch für uns selbst, um vollendet zu werden, um in der Sünde nicht stecken zu bleiben, um das, was uns geschenkt ist, immer weiter vergrößern zu können, um tatsächlich mitzuwirken mit Gott, damit wir und andere gerettet werden. Wenn die Kirche uns sonntags ruft, am Hl. Opfer teilzunehmen, dann will sie unsere Vollendung. Es ist kein äußerer Zwang, es ist eine liebende Aufforderung, die Sünde zu überwinden und Gott, dem Allmächtigen, zu folgen, um gerettet zu werden.

Schließlich, wenn die Stunde kommt, die auch Maria auf ihre Weise erlebt hat, die Stunde des Scheidens, dann sind wir wiederum nicht allein gelassen. Gott, der Vollender, hat uns das Sakrament der Krankensalbung gegeben und wir sollten niemals zögern, wenn einer von uns krank ist, den Priester zu rufen, um den Kranken salben zu lassen, wie es in der Hl. Schrift heißt (vgl. Jak 5, 14-15). Wir alle sind bis zum Schluss unvollendete Menschen, alles, was wir hinterlassen, ist Stückwerk und von der Sünde irgendwie geprägt. Gott aber will uns vollenden. Deswegen ist die Kirche die Einzige, die sich in der Stunde des Todes, noch bis auf die Schwelle jener Verabschiedung in die Ewigkeit mit uns vor Gott hinstellt, uns salbt, uns die Sünden vergibt und uns vorbereitet für den allentscheidenden Moment, in dem das Gericht der Vollendung für uns endgültig wird.

Bereiten wir uns auf diesen Moment vor, so wie die Gottesmutter sich ein ganzes Leben trotz Ihrer Sündenlosigkeit vorbereitet hat. So dürfen wir in der Hoffnung leben, wenn wir gut vorbereitet sterben, dass auch wir an dieser Vollendung teilhaben werden, dass auch wir, wenn auch nicht sofort mit Leib und Seele, in den Himmel aufgenommen werden können, wahrscheinlich durch das Sühneleiden des Fegefeuers hindurch, aber doch für die Vollendung bestimmt.

Deswegen feiern wir heute die Gottesmutter. Sie ist das große Zeichen unserer eigenen Vollendung. Sie ist das große Zeichen dessen, dass Gott uns in unserer Unvollendetheit nicht allein lässt. Sie ist das große Zeichen der Mütterlichkeit, die sich uns neigt, wenn wir nicht mehr wissen, in unserem Stückwerk und in unserer Sündhaftigkeit, was wir tun sollen. Wir sind nie allein. Wir sind ganz am Anfang für die Vollendung geschaffen. Gott gibt uns unser ganzes Leben hindurch durch unsere Erwählung als Christen unzählige Hilfen, um unser Stückwerk und unsere Erbärmlichkeit zu überbrücken. Und schließlich öffnet er uns, wieder durch das Wirken der Kirche und das Gebet der Gottesmutter, die wir täglich um diese Gnade anflehen, den Himmel, um sich unserer zu erbarmen.

Haben wir keine Angst, die Gottesmutter steht immer an unserer Seite. Sie wird uns auch weiter anleiten und an der Hand nehmen, um uns zur Vollendung Gottes zu führen. Jeder von uns ist ein Schatz in den Augen Gottes. Jeder von uns ist ein hier noch unvollendetes Kunstwerk seiner Gnade. Im Jenseits aber soll er vollendet werden, er soll, wie alle Heiligen und alle Erwählten, an der Seite der Gottesmutter die Vollendung der Ewigkeit für immer dankbar besingen, jene Vollendung, deren Schönheit, deren Glanz, deren außergewöhnliches Strahlen wir uns hier nicht vorstellen können, für die wir aber alle geschaffen sind. Bleiben wir an der Seite der Gottesmutter! Sie führt uns zu Christus, sie vollendet uns mit Ihm und damit werden wir in Seiner Glorie sein, für immer und ewig. Amen.