Predigt zum 5. Sonntag nach Ostern, dem 14. Mai 2023, Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

/ Januar 8, 2024/ Predigten

Msgr. Prof. Dr. Dr. Rudolf Michael Schmitz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

„Seid Befolger des Wortes und nicht nur Hörer, sonst betrügt ihr euch selbst.“ (Jak 1,22) Diese oft erlebte Dichotomie, diese Spaltung zwischen dem Glauben, den wir wohl bekennen, und unserem Leben, das diesem bekannten Glauben dann doch nicht folgt, liegt an unserer gefallenen Natur. Diese sündhafte Trennung zwischen Glauben und Leben müssen wir ein ganzes christliches Leben lang zu überwinden suchen. Der heilige Papst Johannes Paul II. sagt das in seiner berühmten Enzyklika Veritatis splendor ganz eindeutig: „Kein Riss“, so sagt der Papst, „darf die Harmonie zwischen Glauben und Leben gefährden. Die Einheit der Kirche wird nicht nur von den Christen verletzt, die Glaubenswahrheiten ablehnen oder verzerren, sondern auch von jenen, die die sittlichen Verpflichtungen verkennen, zu denen sie das Evangelium aufruft.“

Wir müssen das Wort Gottes also nicht nur hören, sondern wir müssen es tun. Die Bedingung dazu, dass wir das Wort hören und es befolgen können, ist aber, dass wir es verstanden haben, dass wir die Wahrheit, die das Wort Gottes enthält, wirklich erkennen und nicht in eine falsche Richtung gehen und meinen, wir könnten nach unserem eigenen Gutdünken und unserer eigenen Interpretation der Schrift folgen. Man kann nicht dem Willen Gottes entsprechend leben, wenn man die Schrift alleine nach eigenem Gutdünken auslegt oder die Auslegung der Kirche, die allein vom Heiligen Geist als die wahre garantiert ist, ablehnt und sich selber neue Lehren zurecht macht. Es ist deswegen eine wichtige Bedingung des richtigen Verstehens des Wortes und der richtigen Ausführung des verstandenen Wortes, dass wir uns an die reine katholische Lehre halten.

Gestern hat die Kirche den großen heiligen Kardinal Robert Bellarmin gefeiert, der in einer Zeit, wo die sogenannte Reformation die Heilige Schrift nach eigenem Gutdünken erklären wollte, uns darauf hingewiesen hat, dass zum richtigen Glauben und zum richtigen Handeln die Reinheit der Lehre gehört. Er sagt in einer seiner Predigten: „Die Reinheit des Glaubens ist es also, wodurch sich unsere Religion vor allem Weltlichen besonders auszeichnet. Denn während alle Religionsgesetze der Philosophen, Heiden und Ketzer neben einigen Wahrheiten viele offenbare Lügen und der Frömmigkeit und Ehrbarkeit sicher widerstrebende Regeln enthalten, kann sich nur unsere heilige Kirche rühmen, dass sie das untadelhafte Gesetz des Herrn ohne die Hinzusetzung eines Irrtums besitzt, was ein ausreichender Beweis dafür ist, dass nur allein unser Gesetz Gott zum Urheber hat.“

Wenn wir wissen wollen, was das Wort Gottes beinhaltet und was seine Wahrheit für unser Leben bedeutet, ist es wichtig, dass wir die vom Heiligen Geist inspirierten und getragenen Wahrheiten der Kirche, wie sie sich in der katholischen Lehre seit der Offenbarung durch Jesus Christus immer erhalten haben, genau kennen, dass wir sie leben und dass wir uns ihnen geistig und in unserer konkreten Existenz dankbar unterwerfen. Wenn wir unserem eigenen Wort folgen, wenn wir im Ungehorsam zur Lehre der Kirche leben, dann werden wir vielleicht das Wort Gottes hören, aber wir werden es missverstehen, wir werden in die Irre gehen und werden das Wort Gottes nicht in die Tat umsetzen.

Deswegen ist es außerordentlich wichtig, dass der, der das Wort Gottes hört und es befolgen will, sich als ein Glied der Kirche versteht. Denn die Gliedschaft der Kirche, die Tatsache, dass wir Glieder im mystischen Leib Christi sind, der die Kirche ist, rettet uns davor, selbst zu interpretieren, eigenmächtig zu handeln und einen Glauben zu erfinden, der mit der Lehre Jesu Christi nichts mehr gemein hat.

Deswegen hat auch das Zweite Vatikanische Konzil, das die Einheit der Kirche und ihre Identität mit dem Leib Christi betont, unsere Verbindung mit der Kirche und ihrem inneren und äußeren Leben unterstrichen. Es zitiert dabei wieder den großen Kirchenlehrer Robert Bellarmin, dessen berühmte Definition für die Kirche auch heute noch gilt. In dem Dekret für die Ostkirchen (Nr. 2) lehrt das Konzil: „Die heilige katholische Kirche ist der mystische Leib Christi und besteht aus den Gläubigen, die durch denselben Glauben, dieselben Sakramente und dieselbe oberhirtliche Führung im Heiligen Geist organisch geeint sind.“

Die katholische Lehre lädt uns ein und hilft uns, wahre Hörer des Wortes zu sein. Die sieben heilswirksamen Gnadenzeichen der Sakramente stehen uns dann bei, das, was wir aus der Lehre der Kirche als wahre Hörer des Wortes verstanden haben, je nach unserem Stand zu leben oder, wenn wir zu schwach gewesen sind, um den Glauben zu leben, in der heiligen Beichte zu Gott zurückzufinden, unser Ohr wieder neu der Wahrheit zu öffnen und unser Leben so zu ordnen, dass wir die Wahrheit nicht nur gehört haben, sondern sie dann durch uns auch verwirklicht wird. Mit Hilfe der Sakramente können wir das dauernde und unveränderte Lehramt der Kirche zu allen Zeiten zum Maßstab unseres Handelns machen. Darüber hinaus dürfen wir erfahren, dass die mit dem göttlichen Gesetz unverbrüchlich verbundene überlieferte hierarchische Ordnung der Kirche uns in unserer Schwäche ebenfalls hilft, nicht nur das Wort zu hören, sondern dieses Wort auch zu tun. Wenn wir mit diesen drei Banden mit der heiligen Kirche, dem mystischen Leib Christi, verbunden bleiben – mit der Reinheit der Lehre, mit der Fülle der Sakramente und mit der bewährten Ordnung -, dann werden wir nicht in die Irre gehen, wir werden die Kraft finden, nicht nur zu hören, sondern auch zu tun.

Auf diese Weise werden wir erleben, dass das Wort Gottes das „vollkommene Gesetz der Freiheit“ ist, wie der Apostel Jakobus lehrt (Jak 1, 25), und uns die „Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8, 21) verleiht, wie der Völkerapostel unterstreicht. Wort und Gesetz Gottes engen uns nicht ein, unterdrücken uns nicht, sondern machen uns frei von Irrtum und Sünde! Sie öffnen unser Herz, machen die Augen unseres Glaubens sehend und stärken das innere Gehör des Gewissens für die Wahrheit. Wer deswegen ganz in der Kirche leben wird, wer sich ihrer Überlieferung in Lehre, Sakramenten und Disziplin öffnet, wird wahrer Hörer des Wortes, und er wird von Gott durch Seine Gnade die Kraft bekommen zu tun, was er gehört hat. Amen.