Predigt zum fünften Sonntag nach Ostern

/ Mai 16, 2020/ Predigten

Worauf kommt es eigentlich in unserem Glauben an? Was müssen wir tun, um Gott wirklich zu gefallen? Was sind die wichtigsten Elemente in einem christlichen Leben? Diese Fragen, die sich angesichts der gegenwärtigen Situation von neuem stellen, können wir in den heutigen Messtexten beantwortet finden. Sie sprechen uns von drei Grundhaltungen, die jeder haben muss, wenn er Gott dienen will. Diese Grundhaltungen lassen sich zusammenfassen in den Aufforderungen des Herrn und des Apostels Jakobus: 1. In Jesu Namen zu beten und zu handeln; 2. Werke der Barmherzigkeit zu tun; 3. Sich von der Welt unbefleckt zu bewahren.

Die erste Grundhaltung, alles in Jesu Namen zu tun, führt uns wieder zum Thema der Wahrheit: Viele Menschen beten und handeln. Beides sind nicht etwa automatisch christliche Verhaltensweisen.  Gebet oder Aktion können ambivalent oder sogar falsch sein. Wenn nicht die richtige Intention dahintersteht und nicht das wahre Ziel das Motiv ist, bleiben diese Haltungen bestenfalls rein natürlich, oft sogar steril oder schädlich für den Einzelnen und das Gesamt der Gesellschaft.

Viele Menschen beten zu Götzen oder wenden sich an falsche Götter, oft mit großer Regelmäßigkeit. Es gibt Religionen direkt vor unseren Augen, deren Mitglieder in ihrem religiösen Leben von einer starken persönlichen Überzeugung getragen sind. Das aber macht ihr Gebet nicht heilswirksam, weil sie sich nicht an den einen wahren Gott wenden. Vergessen wir nicht, was die Schrift sagt: „Dii gentium daemonia sunt, die Götter der Heiden sind Dämonen!“ (Psalm 95, 5)

Ebenso gibt es Menschen, die sehr aktiv sind, sei es in sozialer, wirtschaftlicher, politischer oder humanistischer Hinsicht. Manche dieser Handlungen, wenn sie dem Naturrecht entsprechen, das Gott in das Herz aller Menschen geschrieben hat, tragen natürliche gute Früchte. Viele aber sind mehr von egoistischen oder rein materiellen Motiven getragen und führen auf die Dauer zu nichts Gutem. Jeder rein innerweltliche Aktivismus bleibt in jedem Fall ausschließlich in der Welt stecken. Bestenfalls dient dieser Aktivismus eine Zeitlang dem äußerlichen Wohl oder dem Funktionieren der Gesellschaft, niemals aber führt er aus sich selbst zum übernatürlichen Heil.

Um wirklich als Christen zu beten und handeln, um den Ansprüchen unseres katholischen Glaubens voll gerecht zu werden, bedürfen wir unseres Herrn Jesus Christus. Deswegen fordert er uns so dringend auf, in Seinem Namen zu beten (Johannes 16, 23). Deswegen auch sagt er uns: „Ohne mich könnt ihr nichts tun!“ (Johannes 15, 5). Nur in Seinem Namen, im Namen der menschgewordenen Wahrheit, wird unser Gebet vom Vater erhört. Nur Er allein ist unser Mittler, der weiß, was gut für uns ist. Alles, was wir ohne ihn tun, bringt keine bleibende Frucht. Nur, was im Namen des Herrn geschieht, ist daher christliches Beten und Handeln. Es gibt kein anonymes Christentum! Nur das Beten und Tun „im Namen Jesu“ ist von der Gnade getragen und führt uns deshalb zu unserer ewigen Bestimmung bei Gott.

Daraus resultiert aber unmittelbar eine zweite wichtige Grundhaltung des Christen: Die Wahrheit will getan sein! Wer im Namen der menschgewordenen Wahrheit betet und handelt, der wird sich nicht mit einem bloßen Lippenbekenntnis des Glaubens begnügen wollen. Der heilige Apostel Jakobus sagt uns mit aller Deutlichkeit: „Wenn einer meint, er diene Gott, aber seine Zunge nicht im Zaum hält, sondern sein Herz betrügt, dessen Gottesdienst ist wertlos. Ein reiner und makelloser Gottesdienst ist es vor Gott, dem Vater: für Waisen und Witwen in ihrer Not zu sorgen…“ (Jakobus 1, 26-27).

Ein Glaube ohne Werke ist kein wirklicher Glaube. Gerade weil wir im Namen Jesu, des menschgewordenen Wortes, beten und handeln sollen, können wir uns nicht mit Worten allein begnügen. Christus hat uns mit klaren Worten die Wahrheit des Heils verkündet, aber er ist für unser Heil auch gestorben. Er war und ist unser Lehrer und Meister, aber auch unser Mittler und Heiler. Ohne seine Gnade können wir nichts tun, was zum Heil führt, aber wir müssen das, was Heil bringt, trotzdem tun. Wir sind deswegen nicht nur gerufen, um den göttlichen Gnadenbeistand zu beten, sondern auch mit diesem Beistand mitzuwirken.

Deswegen kann der heilige Jakobus im zweiten Kapitel seines Briefes hinzufügen: „So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat. Aber es könnte einer sagen: Du hast Glauben und ich kann Werke vorweisen; zeige mir deinen Glauben ohne die Werke und ich zeige dir aus meinen Werken den Glauben. Du glaubst: Es gibt nur einen Gott. Damit hast du Recht; das glauben auch die Dämonen und sie zittern. Willst du also einsehen, du törichter Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist?“  (Jakobus 2, 17-19) Damit will der Apostel unterstreichen, dass auch diejenigen, die verlorengehen, einen theoretischen Glauben haben können. Aber dieser bloße Glaube bleibt steril und fruchtlos. Nur wenn er sich mit Werken der Gnade verbindet, führt er zum ewigen Heil.

Deswegen hat die Kirche uns immer schon aufgefordert, unseren Glauben mit den Werken der geistigen oder körperlichen Barmherzigkeit zu verbinden. Nicht erst seit kurzem, sondern seit Ihren Anfängen hat sie sich um die Kinder und Jugendlichen, die Alten und Kranken, die Bedürftigen und Heimatlosen, die Waisen und Witwen, die Flüchtlinge und Gefangenen, die Einsamen und Verstoßenen gekümmert. Unzählige Schulen, Altenheime, Kindergärten, Krankenhäuser, Hospize, Armenspeisungen hat sie unterhalten und unterhält sie noch heute.

Die christliche Nächstenliebe, jenes große Zeichen eines gelebten Glaubens, ist keine Erfindung von heute. Wir dürfen stolz darauf sein, dass lange vor jeder staatlichen Fürsorge die Kirche sich um die Armen gekümmert hat. Die ersten wirklich systematischen Bemühungen um das Los der Arbeiterschaft stammen aus der Feder und der väterlichen Fürsorge der Päpste. Die christliche Soziallehre, die den sozialen Frieden in den europäischen Ländern solange bewahrt hat, ist eine Frucht kirchlicher Lehre und kirchlichen Wirkens. Wir sind die lebenden Steine dieser Kirche, die auf uns baut, wenn sie uns zuruft: „Es gibt keinen lebendigen Glauben ohne gute Werke!“

Das aber führt uns zu einer dritten, ebenso wichtigen Grundhaltung des Christen, die wir wieder aus der dem Jakobusbrief entnommenen Epistel lernen können: „Ein reiner und makelloser Gottesdienst ist es vor Gott, dem Vater… sich unbefleckt von der Welt zu bewahren!“ (Jakobus 1, 27). Obwohl unser Glaube ohne Werke tot ist, reichen die Werke alleine doch nicht aus, unseren Dienst vor Gott wohlgefällig zu machen. Wir haben gehört, dass die Werke, die wir ohne Jesus verrichten, wenig nützen. In jedem Fall bringen sie uns nicht zum ewigen Heil. Deswegen müssen wir uns vor dem Irrtum einer reinen Werkgerechtigkeit hüten. Nicht durch bloßen Aktivismus gelangen wir zu Gott, sondern nur mit Werken, die von einem tiefen Glauben getragen sind. Im Leben des Christen geht es nicht um hektisches Tun, sondern um den „reinen und makellosen Gottesdienst vor Gott“!

Wir Christen sind nicht weltfremd. Wir leben mitten in der Welt. Wir kennen die Welt nur zu gut. Doch wir dürfen uns nicht von ihr gefangen nehmen lassen. Für uns gilt, was der Herr von seinen Jüngern sagt, wenn er den Vater bittet, sie vor allem Übel zu bewahren: „Sie sind nicht von der Welt, so wie auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in Deiner Wahrheit…!“ (Johannes 17, 16). Jeder von uns kennt dagegen die Erfahrung, dass die Welt über die Wahrheit des Glaubens siegen will. Aus wirtschaftlichem Erfolg wird dann plötzlich schrankenlose Habgier, aus Nächstenliebe falsche Berechnung, aus Freundlichkeit aufgesetzte Heuchelei, aus Bemühung um Erfolg brennender Ehrgeiz, aus kluger Vorsorge schamlose Bereicherung, aus Hilfe für die Familie verfilzte Vetternwirtschaft oder aus vorsichtiger Staatskunst kalte Machtpolitik. Die Welt gewinnt die Oberhand über den Glauben! Das darf nicht geschehen!

Der Maßstab für uns Christen ist nicht der Erfolg in der Welt und auch nicht ihr Applaus. Das bedeutet nicht, dass ein Katholik nicht erfolgreich sein darf. Es gab und gibt viele katholische Frauen und Männer, die sich in Beruf, Wirtschaft, Wissenschaft oder Politik ausgezeichnet haben.  Aber wenn sie sich ausgezeichnet haben, dann nicht, weil sie die Welt zum Maßstab des Glaubens machten, sondern den Glauben zum Maßstab der Welt. Die letzten Worte des heiligen Thomas Morus am Schaffott charakterisieren diese richtige Haltung zur Welt: „Ich sterbe als treuer Diener des Königs, aber zuerst als Diener Gottes!“ Er hatte dem Staat immer treu gedient, aber der Maßstab dieses Dienens blieb Gott. Er opferte dieser Glaubenstreue ohne Zögern sein Leben.

In diesen Tagen haben wir gesehen, wie weit die Welt bereits der Handlungsmaßstab vieler geworden ist. Das Bruttosozialprodukt scheint in unserer Gesellschaft schon lange wichtiger als der Glaube. Materielles hat oft über Geistiges, Macht über Recht, Geld über Wahrheit, Panik über Vernunft, Willkür über Freiheit gesiegt. Ist daher diese Zeit nicht ein Aufruf, darüber nachzudenken, worauf es im Leben wirklich ankommt? Leben wir wirklich nur, um zu arbeiten? Oder sollten wir uns nicht wieder darauf besinnen, dass wir arbeiten um zu leben? Wir sind nicht geschaffen, um Sklaven der Welt zu sein. Der teilweise grenzenlose materielle Aktivismus der letzten Jahre ist gerade zu einem kreischenden Halt gekommen. Viele der Folgen dieser Unterbrechung werden erst noch zutage treten. Vielleicht warten Zeiten der Beschränkung oder gar der Not auf uns. Wir Christen sollten jetzt, ohne uns vor der Zukunft zu ängstigen, die Gelegenheit nutzen, um uns von den Fesseln der Welt zu lösen und uns Gott neu zuzuwenden.

Die Zeit, die wir durchleben, muss uns dazu bringen, unsere eigene Stellung zur Welt zu überprüfen. Leben wir für Gott oder für die Welt? Was ist wichtiger in unserem Leben: Erfolg, Geld, Ansehen, Macht, Gesundheit, Wohlleben oder der lebendige Gott? Was sind unsere wahren Absichten? Wem wollen wir zuerst dienen? Brauchen wir wirklich alles, was wir haben oder wünschen? Könnte Weniger nicht viel mehr sein? Jeder hat Verantwortung in der Familie, am Arbeitsplatz, im Gemeinwesen. Jeder hat seinen eigenen Platz in der Welt. Dieser Platz aber ist nur dann nicht „von der Welt“, wenn der wahre Glaube ihn bestimmt.

So schließt sich der Kreis. Wieder gilt: „Die Wahrheit wird euch freimachen!“ (Johannes 8,32). Frei von der Welt und frei für Gott: Frei dazu, „im Namen Jesu“ zu beten und zu handeln, frei dafür, unseren Glauben in Werken der Barmherzigkeit zu leben, frei von den Banden der Welt für den reinen Dienst vor Gott, dem Vater. Diese Zeit mit allen ihren Prüfungen kann uns helfen, diese drei wesentlichen christlichen Grundhaltungen wieder in den Vordergrund unseres Lebens zu stellen. Warten wir nicht darauf, dass andere den Anfang machen. Gott hat uns eine Mahnung geschickt. Lesen wir die Schrift, die er klar an die Wand unserer Zeit geschrieben hat. „Im Namen Jesu, kehren wir um zu Gott!“ Amen.

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz