Predigt zum Weißen Sonntag (Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit) 2020

/ April 18, 2020/ Predigten

Liebe Gläubige!

Weiß ist für uns die Farbe der Unschuld, der Reinheit, der Frische, des Lichtes, der Helligkeit. Weiß ist gleichzeitig die Farbe der sogenannten drei katholischen Weiß-heiten: des Allerheiligsten Altarsakramentes, der jungfräulichen Gottesmutter und des Stellvertreters Christi auf Erden. Die Farbe Weiß erinnert uns an das, was uns fehlt: Durch die Erbschuld mangeln wir der Unschuld, der Reinheit und des inneren Lichtes. Anderseits deutet sie aber ebenso auf die Mittel hin, diese Geschenke Gottes wieder zu erlangen: Die Kirche, ihre Sakramente und ihre himmlische Königin.

In alter Zeit legten am Weißen Sonntag die an Ostern Neugetauften ihre weißen Kleider, Zeichen der durch die Taufgnade empfangenen Unschuld, dankbar in der Kirche dem Herrn zu Füßen. Später empfingen fast alle Kinder am gleichen Sonntag die Erste Heilige Kommunion. Der Heiland, gegenwärtig unter der Gestalt der weißen Hostie, wird damit seit alters her als Quelle der Reinheit und Unschuld, als Ursprung des Lichtes in unseren Seelen bekannt.

Diese Gnadengeschenke sind aber alle Folgen der unendlichen Barmherzigkeit Gottes. Die Gnade der Taufe, die Gegenwart des Herrn in der Eucharistie, ja alle Sakramente der Kirche, wie auch die Kirche selbst, ihr Priestertum und ihre Hierarchie sind nichts anderes als Instrumente der göttlichen Barmherzigkeit. Daher ist es mehr als angebracht, dass die Kirche nun auch am Weißen Sonntag besonders der Barmherzigkeit Gottes gedenkt und für sie dankt.

Diese Barmherzigkeit hat aber, ebenso wenig wie Taufe und Eucharistie, an denen sie sichtbar wird, etwas bloß Symbolisches an sich. Die Taufe ist eben keine „Jugendweihe“, kein bloßer Anlass zu einem Familienfest, keine gesellschaftliche Konvention. Sie ist vielmehr der notwendige Schlüssel zum Heil. Sie ist der Strom des Lebens, durch den jene Ursünde abgewaschen wird, deren Folgen wir alle merken und deren Spuren uns immer nach unten ziehen. Die Taufe ist gerade nicht Konvention, sondern dramatisches Heilsgeschehen, ohne das wir verloren sind. Durch sie und das Wirken Gottes in ihr werden wir den Krallen Satans entrissen.

Ebenso ist die Eucharistie kein leeres Symbol. Sie ist nicht irgendein Stückchen Brot, das zum Zeichen kirchlicher Gemeinschaft jedem verteilt wird, der sich in die Schlange stellt. Sie ist nicht Erinnerung, sondern machtvolle Gegenwart. Die neue Wirklichkeit der Heiligen Hostie umschließt den Himmel. Der Heiland selbst thront durch sie mitten unter uns. Die Majestät Gottes ist in ihr der Kirche dauernd anwesend. Die geopferte Menschheit Christi setzt ihr Heilswerk im Opfer der Eucharistie andauernd fort. Wenn irgendwo die Fülle umgestaltender gott-menschlicher Majestät die Welt erreicht, dann in der heiligen Eucharistie.

Deswegen ist die Barmherzigkeit, die die Kirche heute feiert, auch nur auf dem Hintergrund der göttlichen Majestät wirklich zu begreifen. Wir haben keinen Großvater-Gott, der nicht mehr anders kann, als über unsere Schuld hinwegzusehen. Wir verehren auch keinen göttlichen Uhrmacher, der sich nach getanem Werk unbeteiligt die Welt von weitem ansieht. Die Urgewalt, die Schöpfermacht, die Allwissenheit Gottes ist vielmehr seit Ewigkeit und für immer unverändert. „Rot wie Scharlach“ (vgl. Isaias 1,18) steht unsere Schuld vor der unendlichen Größe des majestätischen Gottes und schreit nach Vergeltung!

Er aber macht sie „weiß wie Schnee“! Er entäußert sich seiner Majestät, wird ein Mensch wie wir, um für uns zu sterben und uns zu erlösen. Seine göttliche Kraft, unvermindert in seiner leidenden Menschheit, macht aus dem durch unsere Sünden verursachten Verbrechen an einem Unschuldigen das endgültige Erlösungsopfer unseres Heils. Der Allmächtige, Ewige Gott wird in Jesus Christus zum Opferlamm für uns, simul sacerdos et hostia: gleichzeitig Priester und Opfer. Das göttliche Drama unserer Erlösung ist das Wirklichkeits-Drama der unendlichen, liebenden Barmherzigkeit Gottes. Weil Gott so unendlich groß ist, besitzt er die grenzenlose Macht, Tod und Teufel und Sünde zu besiegen. Wer nicht an die Majestät Gottes glaubt, kann auch die göttliche Barmherzigkeit nicht begreifen.

Das Drama der Barmherzigkeit ist aber nicht zu Ende. Der Strom der von Christus teuer erkauften Barmherzigkeit fließt weiter in der Taufe. Deswegen ist dieses Sakrament auch das Sakrament der Majestät Gottes, das uns zu dem macht, was wir ursprünglich werden sollten: Kinder des großen Königs! Jeder, der gerettet werden will, bedarf des Stromes der Gnade, der die Ursünde und alle persönlichen Sünden hinwegspült. Ohne diese Gnade können wir der Barmherzigkeit nicht teilhaft werden, weil Hindernisse, die von der gebrochenen Freiheit des Menschen kommen, nur von der größeren Freiheit Gottes behoben werden können: „Erhebt Euch, ihr uralten Pforten, es kommt der König der Herrlichkeit!“ (Psalm 24, 9 auch 7-10).

Dasselbe Drama widerholt sich unblutig auf unseren Altären bei jeder heiligen Messe. Gottes Majestät lässt sich herab, sich unser zu erbarmen. Da ist nichts bloß äußerlich Symbolisches. Der barmherzige Gott ist in Christus für immer Mensch geworden. Er bleibt für immer der Geopferte. Für immer ist dieses Opfer gegenwärtig, wenn der Priester die Worte der Wandlung in der Person Christi spricht: Er ist wirklicher Stellvertreter des einzigen Hohepriesters Christus, der das Opfer von Golgotha über die Zeiten hinweg mitten unter uns sakramental vollzieht. Im „heiligen Opfer der Eucharistie, ‚vollzieht sich‘ ‚das Werk unserer Erlösung‘“, zitiert die Liturgiekonstitution des Vaticanum II (SC 2) die Sekret des 9. Sonntages nach Pfingsten. Im heiligen Opfer vollzieht sich das göttliche Drama der Barmherzigkeit des Allmächtigen zugunsten der ohnmächtigen Sünder.

Zur Wiederherstellung unserer Unschuld, ja zum noch größeren Geschenk der Gotteskindschaft an seine menschlichen Geschöpfe hat der Gottmensch sich wie ein Lamm schlachten lassen. Deswegen müssen wir alles tun, um die Frucht dieser Barmherzigkeit nicht zu verlieren. Angesichts des blutigen Lösegeldes, das Christus für die vielen bezahlt hat (vgl. Matthäus 20, 28), sollen wir die Erlösung nicht „auf die leichte Schulter nehmen“. Barmherzigkeit ist nicht selbstverständlich. Sie ist nicht garantiert. Sie ist nicht automatisch. Sie hat einen hohen Preis gefordert und sie fordert von jedem einen Preis. Gott hat den Preis für alle auf sich genommen. Er lässt seiner nicht spotten (vgl. Galater 6,7). Wer Gottes Barmherzigkeit leicht nimmt, der sündigt gegen sie. Wer die Gnaden der Taufe und der Eucharistie nicht ernst nimmt, dem können sie nicht helfen. Wer auf die Barmherzigkeit Gottes hin weiter sündigt, an dem ist sie verloren.

Der Apostel Thomas hat erst geglaubt, als er den Finger in die Seitenwunde des Herrn legen konnte, wie uns das heutige Evangelium sagt. „Selig, die nicht sehen, und doch glauben!“ (Johannes 20, 29), sagt der Herr zu ihm. Wir aber sollten wenigstens so glauben, wie der heilige Thomas. Denn wir haben gesehen! Wir haben gesehen und sehen es noch, wie die Majestät Gottes niedersteigt, wie sie sich im Gottmenschen für uns opfern lässt, wie aus der geöffneten Seitenwunde die Gnadenströme in Taufe und Eucharistie auf die Kirche herabfließen. Wir können gleichsam täglich unseren Finger in die offene Wunde der geopferten Barmherzigkeit legen. Glauben wir also an die Majestät dieser Barmherzigkeit, damit sie an uns nicht verloren geht. Dieser Glaube, der Glaube der Kirche, der Glaube unserer Väter, der wahre katholische Glaube an die erlösende Kraft des Dramas der göttlichen Barmherzigkeit wird uns freimachen. Denn dieser unser Glaube, so sagt der heilige Johannes, „besiegt die Welt!“ (1 Johannes 5, 4). Amen.

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz