Predigt zum zweiten Sonntag nach Ostern

/ April 25, 2020/ Predigten

Liebe Gläubige!

Woran erkennt man den guten Hirten? Wir hören die Antwort auf diese Frage, die sich manche mit gutem Grund in diesen Wochen gestellt haben mögen, von Christus selbst. Er sagt mit vollem Recht: „I c h bin der gute Hirt!“ (Johannes 10, 11). Jesus nämlich erfüllt die drei Haupt-Kriterien für einen wirklich guten Hirten, die er in seiner Antwort aufstellt:

  1. Der gute Hirt gibt seine Leben für die Schafe (Johannes 10, 11): Von nun an gilt für alle, die gute Hirten sein wollen, was wir in der heutigen Epistel gehört haben: „…Christus litt für euch und hinterließ euch ein Vorbild, damit ihr Seinen Fußstapfen folgt.“ (1 Petrus 2,21). Christus hat Sein Leben nicht erst am Kreuz hingegeben. Sein gesamtes Leben auf Erden war ein Opfer für die Schafe, die Er erlösen wollte. Die Demut des Gottessohnes in Seiner bescheidenen Geburt, Seinem verborgenen Leben in Nazareth, Seiner unermüdlichen Tätigkeit als Heiler, Lehrer und Gnadenspender zeichnet die Gestalt des guten Hirten, der täglich sein Leben für die Schafe gibt.

Nicht das Suchen nach bürgerlicher Sicherheit, nicht das Ausweichen vor der Verantwortung, nicht die Flucht vor dem täglichen Kreuz noch die Anbiederung an Mächtige und Einflussreiche machen den guten Hirten aus. Es ist vielmehr die Ganzhingabe bis zum Kreuz, die den wirklich guten Hirten erkennen lässt. Deswegen ist der Priester, der im Auftrag Christi die Schafe hütet, zu dieser Ganzhingabe aufgerufen: Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen, die tägliche Zelebration der heiligen Messe, das stellvertretende treue Gebet des Breviers, die furchtlose Verkündigung des wahren Glaubens, das Opfer aller Zeit und Energie für die ihm anvertraute Herde, das sichtbare priesterliche Zeugnis in Kleidung und Verhalten offenbaren den guten Hirten. Er ist geweiht, sein Leben für die Schafe zu geben und er lässt die Schafe nicht wie der Mietling im Stich, wenn der Wolf kommt (Johannes 10, 12-13).

  • Der gute Hirt kennt die Seinen und die Seinen kennen ihn (Johannes 10, 14). Jesus, der gute Hirt, kennt uns durch und durch. Er hat jedes Haar auf unserem Haupt gezählt. Nichts geschieht den Schafen, was nicht in Seinem Plan beschlossen läge, entweder zu unserer Prüfung und heilsamen Buße, oder zu unserer Tröstung und stärkenden Gnade. Wir sind dem guten Hirten nicht egal wie dem Mietling. Der gute Hirt kennt unsere Schwächen, aber auch die Bedürfnisse unserer Seele und die Notwendigkeiten unseres Lebens. Deswegen dürfen wir ihn um alles bitten und er wird uns nach seiner Vorsehung gewähren, was gut für uns ist (vgl. Lukas 11, 11-13).

So sollen auch die guten Hirten, die Christus zu den Menschen gesandt hat, so wie er vom Vater gesandt worden ist (vgl. Johannes 20, 21), ihre Herde kennen. Diese Menschenkenntnis kommt dem guten Hirten aber von Christus, der allein wirklich „weiß, was im Menschen ist“ (Johannes 2, 25).  Nicht Ideologie lässt die Hirten die Herde kennen. Rationalistische, politische oder naturalistische Maßstäbe, psychologische Methoden oder kalte Statistiken geben keine Einsicht in die menschliche Seele und ihren Bedarf nach Gnade und Trost. Der gute Hirte weiß von Christus, was den Menschen fehlt, was sie brauchen und wann und wie er ihnen helfen muss.

Die Nahrung, die er ihnen bringt, weil er ihre wahren Bedürfnisse kennt, ist nicht nur materiell. Zwar hilft er ihnen, wie das die Kirche immer getan hat, auch in materieller Not, aber er weiß, dass ihre geistige Not größer ist. Wie Christus kennt der gute Hirte die Not der Seelen, denen er die Erlösungsgnade bringt, wenn sie sie am meisten brauchen. Deswegen ist es die vornehmste Aufgabe des guten Hirten, der Herde Christi Wahrheit und Gnade zu bringen. Wer nicht die frohe Botschaft unverfälscht verkündet und die Sakramente nicht spendet, der ist kein guter Hirte, weil er die tiefsten Bedürfnisse seiner Schafe gar nicht kennt.

  • Der gute Hirte muss die anderen Schafe zur einen Herde führen (vgl. Johannes 10, 16): Weil Christus aber die innere Not und den Zustand der Seelen vor Gott kennt, hat er Seiner Kirche einen wichtigen Auftrag hinterlassen: „Gehet darum hin und machet alle Völker zu Jüngern, indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und sie lehrt, alles zu halten, was ich euch aufgetragen habe.“ (Matthäus 28, 19-20). Der gute Hirte kümmert sich um alle. Nicht nur die Herde der Kirche ist Sein Anliegen, sondern auch die, die dieser Herde noch nicht oder nicht zur Gänze angehören. Er will nicht, dass Seine Schafe in die Irre gehen. Er geht jedem einzelnen Schaf nach.

So hat er auch uns gefunden und wir Ihn, wie es im Petrusbrief heißt: „Denn ihr wart wie irrende Schafe; jetzt aber seid ihr hingewendet zum Hirten und Hüter eurer Seelen.“ (1 Petrus 2, 25). Deswegen gibt Christus denen, die Er als gute Hirten aussendet, den ausdrücklichen, dringenden Auftrag der Mission. Alle sollen die Stimme Christi hören, damit „e i n e Herde“ sei und „e i n Hirt“ (Johannes 10, 16). Das ganze Leben Christi war von Anfang bis Ende  M i s s i o n. Er ist in die Welt gekommen und hat Sein Leben gegeben, um die Schafe in der einen Herde unter dem einen Hirten zu sammeln.

Jeder gute Hirt ist deswegen gerufen, apostolisch und missionarisch zu sein. Dieser Auftrag kommt niemals „aus der Mode“. Keiner kann sich einen guten Hirten nennen, der keinen Seeleneifer hat. Die Apostel haben ihr Leben als Märtyrer hingegeben, um den Missionsauftrag Christi zu erfüllen. Der große heilige Missionar Franz Xaver hat gebetet „Da mihi animas, cetera tolle: Gib mir Seelen und nimm alles andere!“ Er hat zehntausende getauft. Der heilige Franz von Sales hat in seinem apostolischen Leben über 50.000 Menschen zum katholischen Glauben bekehrt. Die Wahrheit, die hinter diesem unverzichtbaren Auftrag der Hirten der Kirche steht, ist von der Kirche selbst unter dem heiligen Papst Johannes Paul II im Jahre 2000 nochmals klar formuliert worden: “Deshalb muss in Verbindung mit der Einzigkeit und der Universalität der Heilsmittlerschaft Jesu Christi die Einzigkeit der von ihm gestifteten Kirche als Wahrheit des katholischen Glaubens fest geglaubt werden. Wie es nur einen einzigen Christus gibt, so gibt es nur einen einzigen Leib Christi, eine einzige Braut Christi: ‚die eine alleinige katholische und apostolische Kirche‘.“ (Erkl. der Glaubenskongr. v. 6. August 2000: Dominus Iesus, 16).

Weil es aber nur einen einzigen Hirten und eine einzige Herde gibt, die das Heil vermitteln, müssen die Hirten versuchen, alle zu diesem Schafstall führen, damit viele gerettet werden. Deswegen müssen sie durch ihr priesterliches Leben, die Verkündigung der ganzen Wahrheit und die Spendung der Sakramente in erster Linie die Verwalter jener heiligen Geheimnisse sein, die sie selbst zu guten Hirten gemacht haben. Die Heilsinstrumente der Kirche sind im letzten für alle bestimmt. Ist der Priester heute auch oft ein Rufer in der Wüste, so darf er doch niemals aufhören, die „anderen Schafe“ zu Christus zu rufen!

Das also ist ein guter Hirt nach dem Beispiel Christi: Er gibt sein ganzes Leben für die Schafe, er kennt sie und ihre Not durch und durch und er wird niemals müde, auch den verlorenen Schafen nachzugehen, um sie zur einen Herde Christi zu führen. Der gute Hirte gleicht Christus, so wie Christus der wahre und einzige Hirt der Herde ist. Kein geringerer Maßstab darf an den guten Hirten angelegt werden, wenn wir dem Auftrag Christi folgen wollen.

Das aber zeigt, was wir heute brauchen. Wir brauchen keine strukturellen Reformen, wie brauchen keine geweihten Frauen oder verheiratete Priester, wir brauchen keine Demagogen und Ideologen, wir brauchen keine neue Kirche. Was wir brauchen, sind heilige und gute Hirten! Hirten, die wirklich ihr ganzes priesterliches Leben für die Menschen geben, die ihnen anvertraut sind; Hirten, die diese Menschen kennen und ihnen nachgehen, um ihnen die Wahrheit und die Gnade zu bringen; Hirten, die nicht müde werden, auch den Fernstehenden und Ungläubigen Christus zu verkünden. Diese Hirten müssen Männer des Gebetes und des Altares sein, denn ihr Leben ist ein Opfer. Diese Hirten müssen für die Spendung der Sakramente leben, vor allem der heiligen Eucharistie und der heiligen Beichte. Diese Hirten müssen den Glauben gut kennen und klug verkündigen können. Die Hirten müssen mutig, dienstbereit und entschlossen sein. Sie dürfen keine Angst vor der Welt haben. Beten wir also um viele Berufungen und heilige Priester!

In jeder großen Krise sind der Kirche große heilige Priester und seeleneifrige gute Hirten erwachsen: Athanasius, Benedikt, Gregor VII, Petrus Canisius, Pius IX, um nur ganz wenige zu nennen. Große, mutige, entschlossene Priester, bereit mit Christus zu leiden! Zu jeder Zeit schenkt der Eine Gute Hirt der Kirche heilige Hirten, wenn Seine Herde darum ruft.  Rufen wir also, rufen wir ohne Unterlass zu Gott, damit er uns gnädig schenkt, was wir brauchen: Nicht eine neue Kirche, sondern eine in ihren guten Hirten sichtbar heilige Kirche, damit wieder „eine Herde und ein Hirte“ werde! Amen.

Msgr. Prof. DDr. Rudolf Michael Schmitz